Marktzinsmethode

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von Clemens Werkmeister


Bewertungsprobleme durch mehrperiodige Finanzierungsalternativen

Die Diskontierung von Cash Flows in der Standardberechnung eines Kapitalwerts unterstellt, dass die zur Finanzierung und Bewertung herangezogenen Finanzalternativen aus einperiodigen Geschäften bestehen, die auch jede Periode in der relevanten Höhe variiert werden können. Diese Annahme ist aus mehreren Gründen problematisch:

  • Betriebe finanzieren sich im Regelfall nicht (nur) durch einperiodige, sondern durch mehrperiodige Kredite. Umgekehrt stehen für Anleger nicht nur einperiodige, sondern längerfristige Anlagealternativen zur Verfügung.
  • Die Konditionen einperiodiger oder generell kurzfristiger Kredite unterscheiden sich im Allgemeinen deutlich von längerfristigen Laufzeiten. So wird es als „normale“ Zinsstruktur bezeichnet, wenn festverzinsliche Wertpapiere mit kurzer (Rest-)Laufzeit eine niedrigere Verzinsung aufweisen als solche mit langer (Rest-)Laufzeit.
  • Einperiodige Geschäfte können für das laufende Jahr abgeschlossen werden. Ihre Verfügbarkeit und Konditionen in späteren Jahren können nur prognostiziert werden.

Aus diesen Gründen ist eine Projektbewertung von Interesse, die ein Projekt an denjenigen, ein- oder mehrperiodigen Alternativen misst, die zum Entscheidungszeitpunkt über das Projekt zur Verfügung stehen. Ein solches Konzept ist von Schierenbeck und Rolfes unter dem Namen Marktzinsmethode ursprünglich für den Bankbereich entwickelt worden, um den Strukturbeitrag zu bestimmen. Dieser ergibt sich aus der Fristentransformation der Finanzinstitute, die vorwiegend kurzfristige, niedrig verzinsliche Einlagen entgegennehmen und längerfristige, höher verzinsliche Kredite gewähren. Er wird daher auch als Fristentransformationserfolg bezeichnet. Er ist vom Konditionenbeitrag zu unterscheiden, der sich aus den unterschiedlichen Soll- und Habenzinsen für Geschäfte gleicher Laufzeit ergibt.


Idee der Marktzinsmethode

Idee der Marktzinsmethode ist es, ein Investitionsprojekt mit einem Finanzprojekt gleicher Laufzeit und Zahlungsstruktur über die Laufzeit zu vergleichen. Da es nur ausnahmsweise ein genau passendes Vergleichsprojekt gibt, wird es aus den am Kapitalmarkt verfügbaren Finanzprojekten erzeugt. Gesucht ist also eine Kombination von Finanzprojekten, die über die Projektlaufzeit genau die gleichen Zahlungsüberschüsse erzeugt wie das zu bewertende Investitionsprojekt. Lediglich im Entscheidungszeitpunkt 0 verbleibt ein Saldo, der mit der Anfangsinvestition des Projekts verglichen werden kann. Voraussetzung für die Reproduzierbarkeit der Zahlungsüberschüsse ist die Vollständigkeit des Kapitalmarkts: Jedes Projektjahr muss durch die Zahlungen mindestens eines Finanzprojekts angesteuert werden können. Falls mehrere Finanzprojekte sich auf ein Jahr beziehen, ist das günstigste festzulegen.

Die Grundform der Marktzinsmethode unterstellt sogenannte Standardfinanzgeschäfte in normierter Höhe für jede Laufzeit: Sie bestehen aus einer Auszahlung von 1 in Jahr 0, einer festen jährlichen Zinszahlung und der Rückzahlung zum Ende der Laufzeit. Die Kokmbination der für eine bestimmte Situation relevanten Standardfinanzgeschäfte und ihres möglichen Umfangs heißt Standardfinanzierung.

Die folgende Tabelle zeigt ein Beispiel für die Zahlungsstrukturen von Standardfinanzgeschäften bis zu drei Jahren Laufzeit:


Standardfinanzanlagen der Laufzeit
1 Jahr 2 Jahre 3 Jahre
Zinssatz 4 % 5 % 8 %
0 -1,00 -1,00 -1,00
1 1,04 0,05 0,08
2 1,05 0,08
3 1,08


Mit solchen Standardfinanzgeschäften lassen sich die Zahlungsüberschüsse eines Projekts in allen Jahren seiner Laufzeit offensichtlich rekonstruieren. Allerdings verursachen die Finanzgeschäfte ihrerseits wieder Zinswirkungen, die ebenfalls auszugleichen sind. Wegen der Struktur der Ausgleichsprojekte empfiehlt sich eine retrograde Vorgehensweise, nach der sukzessive die Überschüsse des letzten Laufzeitjahrs, dann des vorletzten Laufzeitsjahres usw. ausgeglichen werden, bis schließlich nur noch der Saldo im Entscheidungszeitpunkt verbleibt.


Ein Rechenbeispiel zur Marktzinsmethode

Die folgende Rechentabelle verdeutlicht das Prinzip für ein Projekt mit einer Anfangsinvestition von 320.000 € und jährlichen Rückzahlungen von 130.000 € in den Jahren 1 bis 3:


Investitions-
projekt
Ausgleichsgeschäfte Saldo
Laufzeit 3 Jahre 2 Jahre 1 Jahr
Zinssatz 8 % 5 % 4 %
0 -320.000 120.370 114.638 110.229 25.238
1 130.000 -9.630 -5.732 -114.638 0
2 130.000 -9.630 -120.370 0
3 130.000 -130.000 0


Mit dem Einnahmenüberschuss von 130.000 € in Jahr 3 können Zins und Tilgung für einen dreijährigen achtprozentigen Kredit mit einem Kreditbetrag von 130.000/1,08 = 120.370 € bedient werden. Aus diesem Kredit ergibt sich eine Zinsverpflichtung von 120.370 · 8 % in den Jahren 1 und 2. Vom Einnahmenüberschuss des Jahres 2 verbleibt nach dieser Zinszahlung noch 120.370 €. Damit kann ein zweijähriger fünfprozentiger Kredit bedient werden, der über 120.370/1,05 = 114.638 € abgeschlossen wird. Er führt in Jahr 1 zu einer Zinszahlung von 5.732 €, so dass vom Einnahmenüberschuss noch 114.638 € verbleiben. Sie werden für Zins und Tilgung eines einjährigen vierprozentigen Kredits in Höhe von 114.638/1,04 = 110.229 € verplant.

Mit einem einjährigen Kredit über 110.229 €, einem zweijährigen Kredit über 114.638 € und einem dreijährigen Kredit über 120.370 € ergeben sich Einzahlungen in Jahr 0 in Höhe von 345.238 €. Nach Abzug der Anfangsinvestition von 320.000 € verbleiben 25.238 €. Dies ist der Kapitalwert des Projekts nach der Marktzinsmethode: der bei Projektdurchführung zusätzlich entnehmbare Betrag (im Vergleich zur Projektunterlassung). In den Folgejahren sind die Zahlungssalden ausgeglichen.


Kapitalwertberechnung auf Basis von Zerobond-Abzinsfaktoren

Gemäß dem obigen Rechenbeispiel lassen sich die speziellen Zahlungen einzelner Projekte bewerten. Für eine generelle Bewertung sind jedoch Bewertungsfaktoren für normierte Zahlungen wünschenswert. Dies erfolgt nach dem gleichen Rechenschema zur Rekonstruktion einer isolierten Zahlung von 1000 € in Jahr 3:


normierte
Zahlung
Ausgleichsgeschäfte Saldo
Laufzeit 3 Jahre 2 Jahre 1 Jahr
Zinssatz 8 % 5 % 4 %
0 0 925,93 -70,55 -67,83 787,55
1 0 -74,07 3,53 70,55 0
2 0 -74,07 74,07 0
3 1.000 -1.000 0


Die Tabelle zeigt, dass sich mit passenden laufzeitverschiedenen Finanzgeschäften im Gesamtvolumen von 787,55 € in Jahr 0 eine Zahlung von 1.000 € in Jahr 3 erzeugen lässt, wobei sich alle zwischenzeitlichen Zins- und Tilgungszahlungen gerade ausgleichen. Eine Zahlung von 1.000 € in Jahr 3 ist damit äquivalent zu einer Zahlung von 787,55 € in Jahr 0. Dies erlaubt es generell, Zahlungen in Jahr 3 isoliert mit dem Faktor 787,55/1000 = 0,78755 zu bewerten. Dieser Faktor wird wegen der Analogie der Zahlungsstroms zu einem Zerobond als Zerobond-Abzinsfaktor bezeichnet. Für Normzahlungen in anderen Jahren wird er entsprechend berechnet:


normierte
Zahlung
Ausgleichsgeschäfte Saldo normierte
Zahlung
Ausgleichs-
geschäft
Saldo
Laufzeit 2 Jahre 1 Jahr 1 Jahr
Zinssatz 5 % 4 % Zinssatz 4 %
0 0 952,38 -45,79 906,59 0 0 961,54 961,54
1 0 -47,62 47,62 0 1 1.000 -1.000 0
2 1.000 -1.000 0


Daraus erhält man die Zerobond-Abzinsfaktoren 0,90659 für Zahlungen des Jahres 2 sowie 0,96154 für Zahlungen des Jahres 1. Das obige Beispielprojekt lässt sich wie folgt bewerten:


Jahr Einnahmen-
überschuss
Zerobond-
abzinsfaktor
Barwert
0 -320.000 1 -320.000
1 130.000 0,96154 125.000
2 130.000 0,90659 117.857
3 130.000 0,78755 102.381
Summe 25.238


Der Kapitalwert von 25.238 € entspricht dem Ergebnis der obigen direkten Berechnung und lässt sich aufgrund der vorangegangenen Überlegungen als Wertzuwachs bzw. Entnahmebetrag interpretieren, der durch das Projekt im Vergleich zu seiner Unterlassung entsteht. Anders als ein Kapitalwert klassischer Berechnung ist er jedoch durch laufzeitkongruente Geschäfte gegenfinanziert.

Ergänzungen zur Marktzinsmethode

  • Aus den Zerobond-Abzinsfaktoren für die unterschiedlichen Laufzeiten kann für jedes Jahr ein impliziter Terminzinssatz hergeleitet werden.
  • Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Marktzinsmethode auf Finanzgeschäfte allgemeiner Struktur (d.h. mit beliebigen Zahlungsreihen) stellt Troßmann (1998) vor.


___
siehe auch:
Troßmann, Ernst: Investition als Führungsentscheidung. 2. Aufl., München 2013, Kapitel 4.3.
Schierenbeck, Henner: Das Meß- und Steuerungskonzept der Marktzinsmethode. In: Zeitschrift für Betriebswirtschaft (64) 1994, S. 1417-1452.
Rolfes, Bernd: Marktzinsorientierte Investitionsrechnung. In: Zeitschrift für Betriebswirtschaft (63) 1993, S. 691-712.